Die meisten Reisen in die Welt des Weins beginnen ganz schlicht: Wir genießen ein paar Gläser (oder Flaschen) und entscheiden, welche Weine uns schmecken und welche nicht. Doch meist dauert es nicht lange, bis wir feststellen, dass wir zwar diesen spezifischen Cabernet Sauvignon großartig fanden, der nächste jedoch grauenhaft war – vielleicht war er viel zu sauer oder seine Tannine fühlten sich zu grob und rau an und trübten so den Weingenuss.
Sollten wir also zur Sicherheit alle Cabernets meiden? Uns nur an eine bestimmte Region oder gar einen einzelnen Produzenten halten? Das kann zwar helfen, doch selbst beim gleichen Weingut gibt es Jahrgänge, die besser sind, und solche, die schlechter ausfallen, sodass wir bei einer Blindbestellung trotzdem bei einem enttäuschenden Wein landen könnten. Deshalb lohnt es sich, sein Weinwissen zu erweitern, um gezielter Weine auszuwählen, die unserem bevorzugten Geschmacksprofil entsprechen.
Außerdem müssen wir bedenken, dass selbst wenn wir herausgefunden haben, dass wir zum Beispiel Primitivo aus Apulien bevorzugen, es schwer sein kann, daraus Rückschlüsse auf andere Weine zu ziehen. Stellen wir uns vor, wir sitzen in einem Restaurant, das keinen Primitivo im Sortiment hat – welchen Wein sollen wir bestellen? Dem Kellner mitzuteilen, dass wir Primitivo mögen, kann zwar helfen, doch allein daraus kann er nicht ableiten, welche Eigenschaften des Weins uns gefallen. Ist es der Restzucker, den viele Primitivos aufweisen? Die niedrige bis mittlere Säure? Die sanften Tannine? Die (überreifen/marmeladigen) Fruchtaromen? Viele Weine besitzen einige dieser Merkmale, aber nur Sie wissen, was Ihnen am wichtigsten ist.
Weinwissen strukturiert vertiefen
Wer sich systematisch mit Wein beschäftigt, kann ihn sowohl besser verstehen als auch wertschätzen. Es wird einfacher, den passenden Wein für unseren Gaumen, unsere Stimmung (und unsere Speisen) auszuwählen und ihn gegenüber anderen Weinliebhabern oder Fachleuten präzise zu beschreiben.
Zugegeben, es gibt bereits eine Fülle an Literatur und viele gute Einsteigerbücher zu diesem Thema. Doch Wein besteht nicht nur aus Theorie, sondern vor allem aus Praxis: Aus dem Beobachten, Riechen, Trinken und Analysieren, um die Seele des flüchtigen Tropfens im Glas zu ergründen. Nach meiner Erfahrung kommt es selten vor, dass jemand auf Anhieb alle Aromen erkennen und beschreiben kann, da unser Geruchssinn im Alltag oft der am wenigsten trainierte Sinn ist. Wir riechen zwar vieles, doch wie oft analysieren wir, was wir genau riechen? Wie oft gehen wir über einfache Eindrücke wie „riecht nach Blumen“, „riecht süß“ oder „riecht nach Zitrus“ hinaus?
Deshalb gibt es neben der Literatur auch zahlreiche Schulen und Organisationen, die Kurse und Zertifikate anbieten, um Weinwissen, Verkostungsfertigkeiten und Fachvokabular zu vertiefen. Viele haben ein eigenes Verkostungs- und Beschreibungssystem, das es erheblich erleichtert, einem anderen Menschen einen Wein zu schildern (egal ob er/sie dasselbe System gelernt hat oder nicht). Diese Systeme unterscheiden sich oft in entscheidenden Punkten – wer mehr als eines kennenlernt, kann vergleichen und seine persönliche Präferenz entwickeln.
Da ich anfangs mit der Vielfalt von Programmen etwas überfordert war, bezüglich der Zielgruppe (Amateur/Hobbyist, professioneller Sommelier, Weinausbilder usw.), wie anspruchsvoll sie sind und welchen Zeitaufwand sie erfordern (besonders, wenn man in der Schweiz lebt), habe ich beschlossen, meine bisherigen Erkenntnisse aufzuschreiben, damit andere es etwas leichter haben.
Wine and Spirit Education Trust (WSET)
Der Wine & Spirit Education Trust ist eine Organisation, die eine Vielzahl von Zertifizierungen rund um Wein und Spirituosen anbietet. Kurse werden in über 70 Ländern durchgeführt, und die Abschlüsse sind in der Weinbranche weithin anerkannt.
WSET vermittelt den Systematic Approach to Tasting Wine (SAT) – eine strukturierte Methode, um Wein zu beurteilen und zu beschreiben. Dabei werden Farbe, Süße, Säure, Tannine (bei Rotweinen), Körper, Alkohol, Aromen und deren Intensität (in Nase und Gaumen) sowie der Abgang bewertet.
Die Organisation bietet die folgende Programme an:
- WSET Award in Wine
- WSET Award in Beer
- WSET Award in Sake
- WSET Award in Spirits
Weinkurse werden in die folgenden Stufen unterteilt:
- Level 1 Award in Wine: Der Level-1-Kurs umfasst nur ein oder zwei Unterrichtseinheiten (etwa 6 Stunden) und vermittelt die Grundlagen, z. B. Hauptweinarten und -stile, gängige Rebsorten, Lagerung und Service sowie eine vereinfachte Version des SAT
- Level 2 Award in Wine: Baut auf Level 1 auf, geht aber deutlich mehr ins Detail (ca. 18 Stunden Unterricht). Es wird eine umfassendere Version des SAT gelehrt, alle wichtigen Rebsorten und die bedeutendsten Weinregionen weltweit sowie Grundlagen des Weinbaus und -ausbaus
- Level 3 Award in Wine: Vertieft Level 2 (ca. 36 Stunden) mit noch mehr Rebsorten, Regionen und stärkerem Fokus auf Weinbau- und Klimafaktoren, Boden, Lage, Gewässer, Winde usw., inklusive größerem Anteil an Schaum- und Likörweinen. Die Prüfung hat nicht nur eine Multiple-Choice-Sektion sondern auch eine Weinprobe und einen Essay-Teil, in dem man Ursache–Wirkungs-Zusammenhänge erklären muss (etwa warum am linken Ufer in Bordeaux Cabernet Sauvignon bevorzugt angebaut wird am rechten Ufer hingegen Merlot)
- Level 4 Diploma in Wine: Die Expertenstufe. Umfassendes Wissen zu Produktion, Handel, Still-, Schaum- und Likörweinen sowie eine eigenständige Forschungsarbeit sind gefordert. 116 Unterrichtsstunden und rund 500 Stunden Selbststudium; Abschluss kann bis zu drei Jahre dauern Randnotiz: Um für Level 4 zugelassen zu werden, benötigt es ein bestandenes WSET Level 3.
Welches Level passt zu Ihnen?
- Level 1: Für Wein-Neulinge, die bisher nur Rot, Weiß oder Rosé unterschieden
- Level 2: Für alle, die tiefer einsteigen und einen soliden Überblick über Rebsorten, Weine und Regionen weltweit wollen
- Level 3: Höherer Zeit- und Kostenaufwand; geeignet für Weinliebhaber, Sammler oder Branchen-Insider
- Level 4 (Diploma): Vergleichbar mit einem (Mini-)Master; öffnet viele Türen (Lehre, Journalismus, Handel, Sommelier, Weinproduktion). Hobbyisten schaffen es mit viel Durchhaltevermögen ebenfalls
In Zürich bieten mehrere Anbieter Kurse bis Level 3 an, teils auch online. Ich habe sowohl bei der Académie du Vin als auch bei der Zurich Wine Academy Kurse besucht und kann beide empfehlen. Kurse gibt es auf Deutsch und Englisch; Level 4 wird in der Schweiz derzeit nicht angeboten. Bezüglich beider Anbieter gibt es einige Unterschiede:
- Dozierende: Bei der Académie du Vin unterrichten meist mehrere Lehrkräfte, bei der Zurich Wine Academy in der Regel eine Person pro Kurs. Die Qualität war in beiden Fällen hoch; das von Joe bei der Zurich Wine Academy vermittelte Verkostungssystem erschien mir etwas eingängiger und einfacher anzuwenden
- Online-Plattform: Die Lernplattform der Académie du Vin funktioniert gut und war für mich eine sinnvolle Ergänzung zu den WSET-Büchern
- Standort & Ausstattung: Académie du Vin lehrt an der Hotelfachschule nahe Bahnhof Enge; die Zurich Wine Academy liegt bei der Stauffacher Tramhaltestelle. Der Kursraum (und damit auch die maximale Anzahl der Kursteilnehmer) ist kleiner als bei der Académie du Vin; eine Besonderheit der Zurich Wine Academy ist die Vielzahl an topografischen Karten von Weinregionen sowie zahlreichen Bodenproben, die zur Veranschaulichung dienen
- Alumni-Netzwerk: Nach bestandener Prüfung können Absolventen der Zurich Wine Academy dem Alumni-Netzwerk beitreten und an Events teilnehmen
Da Level 4 in der Schweiz nicht angeboten wird, hier einige Alternativen:
- Weinakademiker über die Weinakademie Österreich - ähnlich WSET Level 4 (und früher hatte man bei Abschluss sowohl den Weinakademiker-Titel sowie das WSET-Diploma bekommen, inzwischen ist die Ausbildung jedoch eigenständig und nicht mehr mit WSET assoziiert).
- WSET Level 4 über WiSP in Frankreich (Paris/Bordeaux)
Wine Scholar Guild (WSG)
Die Wine Scholar Guild verfolgt einen anderen Ansatz: Jede Ausbildung widmet sich einem bestimmten Land (oder einer Region) und geht wesentlich tiefer ins Detail als die Kurse des WSET. Anstatt sich nur auf die bekanntesten und prämiertesten Weine zu konzentrieren, behandelt die WSG jede Weinbauregion eines Landes, legt besonderes Augenmerk auf autochthone Rebsorten, Geschichte, Anbau, Terroir, Produktion, Küche und Bräuche – Wein wird also ganzheitlich als Kulturgut beleuchtet.
Derzeit bietet die WSG Kurse für folgende Länder an:
- Frankreich:
- Einsteiger: French Wine Essentials (FWE)
- Fortgeschritten: French Wine Scholar (FWS)
- Spezialkurse:
- Bourgogne Masters
- Champagne Masters
- Bordeaux Masters
- Italien:
- Einsteiger: Italian Wine Essentials (IWE)
- Fortgeschritten: Italian Wine Scholar (IWS)
- Spezialkurse: Valpolicella Explorer
- Spanien:
- Einsteiger: Spanish Wine Essentials (SWE)
- Fortgeschritten: Spanish Wine Scholar (SWS)
- Spezialkurse: Certified Sherry Wine Specialist (CSWS)
- Deutschland:
- Fortgeschritten: German Wine Scholar
Die Teilnahme an WSG-Kursen fühlt sich an wie ein Wein-Road-Trip: Von Weinberg zu Weinberg entdeckt man berühmte Schätze und versteckte Perlen. Sie sind weniger „trocken“ und sehr passioniert – wer die Weine des jeweiligen Landes liebt, wird viel Freude haben.
Zum Vergleich: Essentials entsprechen etwa WSET Level 2 hinsichtlich Aufwand; der Scholar ist etwa so umfangreich wie WSET Level 3. Da WSG-Prüfungen reine Multiple-Choice-Tests sind (kein Tasting-/Essay-Teil wie beim WSET 3), ist der Vergleich nicht ganz fair – der Stoffumfang ist allerdings wesentlich größer als beim WSET 3. Es geht dabei sehr ins Detail: Von verschiedenen Bodenkompositionen, Hanglagen und Mikroklimata über die konkreten Vorschriften für die verschiedenen DOCs und DOCGs, Anbau- und Produktionstechniken, Rebsorten (und deren lokalen Namen!), Geschichte, regionaler Küche bis hin zu Weinpionieren wird alles abgedeckt.
Welches Niveau passt zu Ihnen?
- Essentials: Für Weinfreunde mit solider Basis, begrenzter Zeit/Budget oder besonderem Interesse an den “Schwergewichten” eines Landes (z.B. Weine wie Barolo, Brunello und Amarone für Italien)
- Scholar: Für Profis oder passionierte Hobbyisten, die alle Regionen und Weine eines Landes – sollten sie auch noch so klein und obskur sein – kennenlernen möchten
Essentials und Scholar unterscheiden sich primär in der Breite: Deckt ein Land 20 Regionen ab, behandeln die Essentials vielleicht 6–8, der Scholar alle 20; die Tiefe der behandelten Regionen ist allerdings im Moment recht vergleichbar, daher sollte man auch die “Essentials”-Kurse nicht unterschätzen.
In Zürich bietet derzeit (soweit mir bekannt) nur die Zurich Wine Academy WSG-Kurse (Essential & Scholar) an. Ich habe dort den Italian Wine Scholar absolviert und kann die Kurse sehr empfehlen.
Court of Master Sommeliers
Der Court of Master Sommeliers richtet sich speziell an künftige Profisommeliers. Neben Wein und Produktion werden auch Service, Food-Pairing, Keller-Management und soziale Kompetenzen vermittelt – essenziell für Restaurants, Bars, Events und andere Bereiche des Gastgewerbes.
Der Court of Master Sommeliers offeriert die folgenden Zertifizierungen:
- Introductory Sommelier
- Certified Sommelier
- Advanced Sommelier
- Master Sommelier Diploma
Diese Kurse sind ideal für alle, die im Gastgewerbe arbeiten oder sich für den Service- und Management-Aspekt von Wein interessieren (Wein-/Food-Menüs erstellen, Lagerhaltung, Preise kalkulieren, Gäste beraten, korrekt einschenken usw.).
In der Schweiz gibt es derzeit offenbar keine Anbieter; Kursorte weltweit finden sich auf der offiziellen Website. Da ich selbst noch keinen Sommelier-Kurs besucht habe, kann ich dazu keine weiteren Erfahrungen teilen – sollte sich das ändern, werde ich diesen Beitrag aktualisieren.
Ich hoffe, dieser Überblick war hilfreich und ermutigt Sie, sich für einen Kurs anzumelden, wenn Sie Wein auf strukturierte und zugleich genussvolle Weise erkunden möchten!